Amtshaftung bei desolaten Gehweg

Amtshaftung bei desolaten Gehweg

Zur Amtshaftung wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht für einen „desolaten“ Gehweg

BGH 5.7.2012, III ZR 240/11

Der Verkehrssicherungspflichtige kann Verkehrsteilnehmern grundsätzlich nicht entgegenhalten, sie hätten gefährliche Stellen meiden müssen. Damit würde er die ihn treffende Verantwortung unzulässig auf den Verkehrsteilnehmer abwälzen.

Der Sachverhalt:
Die im Jahr 2009 gut 70-jährige Klägerin war an einem Vormittag Ende September des Jahres auf einem von ihr seit etlichen Jahren benutzten Überweg des Mittelstreifens einer Kreuzung in Berlin gestürzt. Dieser vor Oktober 1990 angelegte Weg bestand am Tag des Sturzes wie schon in den Jahren zuvor aus stark verwitterten und keine ebene Fläche mehr aufweisenden Betonplatten. Die letzte turnusmäßige Begehung durch einen Mitarbeiter des Bezirksamts des Beklagten hatte Anfang September 2009 stattgefunden.

Die Klägerin, die festes Schuhwerk trug, blieb mit einem Fuß in einem etwa 2 bis 2,5 cm tiefen Loch hängen und fiel zu Boden, wobei sie sich schwere Verletzungen im Gesicht, Prellungen im Arm- und Brustbereich sowie eine Verstauchung des rechten Handgelenks zuzog. LG und KG gaben der Klage auf materiellen Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten im Wesentlichen – unter Berücksichtigung eines Mitverschuldensanteils der Klägerin von 10 % – statt. Die Revision des Beklagten blieb vor dem BGH ohne Erfolg.

Die Gründe:
Der Klägerin steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf Schadensersatz wegen schuldhafter Amtspflichtverletzung gem. § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. Art. 34 S. 1 GG zu.

Nach § 7 Abs. 6 S. 1 des Berliner Straßengesetzes (BerlStrG) wird u.a. die Überwachung der Verkehrssicherheit der öffentlichen Straßen vom Land Berlin als eine Pflicht des öffentlichen Rechts wahrgenommen. Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht nach Maßgabe dieser gesetzlichen Regelung eine schuldhafte Amtspflichtverletzung festgestellt. Schließlich hatte sich der Beklagte zu Unrecht darauf berufen, dass eine Pflichtverletzung angesichts der Erkennbarkeit der Gefahrenlage ausscheide.

Auch wenn sich der Gehweg in einem „quasi vor sich selbst warnenden Zustand befand“, hatte der Beklagte für eine alsbaldige Wiederherstellung der Verkehrssicherheit des Weges zu sorgen. Darüber hinaus ist vielmehr notwendig, dass sich der Benutzer auf die Gefahr einstellen kann, was etwa dann in Betracht kommt, wenn er einer auf einem Gehweg vorhandenen und gut erkennbaren Gefahrenstelle unproblematisch auszuweichen vermag. Hier befand sich jedoch der ganze Überweg in einem so desolaten Zustand, dass selbst ein umsichtiger Fußgänger der Gefahr nicht ausweichen konnte, vielmehr bei jedweder Benutzung des Wegs gezwungen war, Teile zu begehen, die sich in schlechtem Zustand befanden, sodass eine gefahrlose Benutzung nicht möglich war.

Ohne Erfolg blieb auch der Einwand des Beklagten, das Berufungsgericht habe nicht berücksichtigt, dass die Klägerin, statt den schadhaften Überweg zu benutzen, auf die daneben befindliche Grünfläche hätte ausweichen können. Denn der Verkehrssicherungspflichtige kann Verkehrsteilnehmern grundsätzlich nicht entgegenhalten, sie hätten gefährliche Stellen meiden müssen. Damit würde er die ihn treffende Verantwortung unzulässig auf den Verkehrsteilnehmer abwälzen.

Quelle: BGH online