Haftungsfragen bei „rechts vor links“ im Straßenrondell
OLG Hamm 17.1.2017, 9 U 22/16
Ein Radfahrer, der ein Straßenrondell überquert, bei dem die Vorfahrtsregel „rechts vor links“ gilt, verletzt die Vorfahrt eines von rechts in das Rondell einfahrenden Pkws, wenn nicht sichergestellt ist, dass er das Rondell vor dem Kraftfahrzeug räumen kann. Wird er vom Fahrer des Kfz übersehen, kann diesen ein Mitverschulden an dem Zusammenstoß der beiden Fahrzeuge treffen.
Der Sachverhalt:
Die seinerzeit 78-jährige Klägerin war im August 2014 mit ihrem Fahrrad in Münster-Roxel unterwegs. Sie näherte sich einer Kreuzung, die in Form eines Rondells angelegt ist. Es gilt die Vorfahrtsregel „rechts vor links“. Die Klägerin beabsichtigte, das Rondell an der gegenüberliegenden Einmündung zu verlassen, es somit quasi in Geradeausrichtung zu überqueren. Der aus Sicht der Klägerin rechts gelegenen Straße näherte sich die Beklagte mit ihrem VW Golf. Das Fahrrad der Klägerin prallte auf die vordere linke Ecke des Pkw der Beklagten.
Die Klägerin zog sich einen schwerwiegenden Bruch des Schienbeinkopfes zu, der aufgrund eines komplikationsreichen Heilungsverlaufes mehrfach operiert werden musste. Von der Beklagten und dem Haftpflichtversicherer des Fahrzeugs verlangt sie Schadensersatz. Unter Anrechnung vorprozessual gezahlter 4.000 € begehrte sie Ersatz eines materiellen Schadens, insbesondere einen Haushaltsführungsschadens, von noch ca. 4.000 € und ein Schmerzensgeld i.H.v. 10.000 €.
Das LG gab der Schadensersatzklage überwiegend statt und rechnete der Klägerin ein Mitverschulden von 20 % zu. Auf die Berufung der Beklagten hat das OLG den Mitverschuldensanteil der Klägerin mit 60 % bemessen und der Klage – aufgrund der weiter aufklärungsbedürftigen Schadenshöhe – hinsichtlich des Schmerzensgeldes und des Haushaltsführungsschadens dem Grunde nach mit einer Haftungsquote von 40 % der Beklagten stattgegeben.
Die Gründe:
Die Haftung der Beklagten für das Unfallereignis ergab sich aus § 7 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, während sich die Mithaftung der Klägerin nach § 9 StVG i.V.m. § 254 BGB richtete.
In dem Verkehrsunfall hatte sich die durch ein Verschulden erhöhte Betriebsgefahr des Fahrzeugs der Beklagten, aber auch ein erhebliches Mitverschulden der Klägerin ausgewirkt. Letzterer war eine Vorfahrtsverletzung anzulasten. Als sie in den Kreuzungsbereich eingefahren war, hatte sie den VW Golf der Beklagten als bevorrechtigtes Fahrzeug erkennen können und auch erkannt. Den Vorrang dieses Fahrzeugs hätte sie beachten und es vor dem Überqueren der Kreuzung passieren lassen müssen.
Vor dem Fahrzeug der Beklagten hätte die Klägerin nur dann in die Kreuzung einfahren dürfen, wenn sichergestellt gewesen wäre, dass sie die Kreuzung auch vor der vorfahrtsberechtigten Beklagten hätte räumen können. Das Unfallereignis zeigte, dass dies im vorliegenden Fall nicht gewährleistet war. Dass der Beklagten ebenfalls ein Verkehrsverstoß anzulasten war, entlastete die Klägerin nicht, da ein vorschriftswidriges Verhalten des Vorfahrtsberechtigten sein Vorfahrtsrecht grundsätzlich nicht entfallen lässt.
Allerdings traf auch die Beklagte ein gravierendes Verschulden an der Entstehung des Unfalls. Denn beim Einfahren in das Rondell hatte sie das bereits in das Rondell eingefahrene Fahrrad der Klägerin offensichtlich übersehen und daher ihre allgemeine Rücksichtnahmepflicht verletzt. Hätte sie auf die Klägerin geachtet, wäre der Unfall für sie dadurch zu vermeiden gewesen, dass sie ihrer Einfahrt in das Rondell zurückgestellt hätte. Zwar war sie bevorrechtigt. Dies gab ihr aber nicht das Recht, ihr erkennbar durch die Klägerin verletztes Vorfahrtsrecht ohne Rücksicht auf die Klägerin durchzusetzen.
Quelle: OLG Hamm PM vom 16.3.2017
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