Kirmesbetriebe haften gegenüber Besuchern bei Stürzen über ungesicherte Versorgungsleitungen
OLG Hamm 24.3.2015, 9 U 114/14
Oberirdische Versorgungsleitungen für Kirmesbetriebe müssen mit möglichst geringem Stolper- und Sturzrisiko für Kirmesbesucher und Anlieger verlegt werden. Stürzt ein Besucher oder ein Anlieger über eine unzureichend gesicherte Versorgungsleitung, kann er den verantwortlichen Kirmesbetrieb aufgrund einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht auf Schadensersatz in Anspruch nehmen.
Der Sachverhalt:
Die Klägerin war im September 2009 während der alljährlich stattfindenden Pflaumenkirmes in Kamen auf dem Bürgersteig vor ihrem Wohnhaus gestürzt. Für den Sturz machte die damals 56-Jährige die auf dem Bürgersteig – u.a. auf Veranlassung des beklagten Kirmesbetriebes – oberirdisch verlegten Kabelversorgungsleitungen verantwortlich. Die lose verlegten Kabel waren nämlich nicht abgedeckt. Die Klägerin zog sich einen Oberschenkelhalsbruch und einen Bruch ihres rechten Arms zu. Sie musste operiert und stationär behandelt werden. Sie verlangte daraufhin vom Beklagten Schadensersatz, u.a. ein Schmerzensgeld i.H.v. 40.000 €.
Das LG wies die Klage ab. Auf die Berufung der Klägerin hob das OLG das erstinstanzliche Urteil auf und sprach der Klägerin – unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens – dem Grunde nach 50% des verlangten Schadensersatzes zu. Zur Feststellung der Höhe des der Klägerin zustehenden Schadens wies es die Sache an das LG zurück. Das Urteil ist mittlerweile rechtskräftig.
Die Gründe:
Die Beklagte hat die ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt, weil sie die zur Versorgung ihrer Fahrgeschäfte und ihrer Wohnwagen mit Wasser und Strom erforderlichen Versorgungskabel vor dem Hause der Klägerin nicht so verlegt hatte, dass eine Gefährdung der Kirmesbesucher und der Anlieger möglichst gering gehalten wurde.
Während einer Kirmes müssen Stände und mobile Unterkünfte der Schausteller über oberirdisch verlegte Leitungen versorgt werden. Da sich kaum vermeiden lässt, dass diese Leitungen Laufwege von Besuchern queren, muss jeweils einem Stolper- und Sturzrisiko mit einer sorgfältigen Verlegung bzw. Abdeckung der Leitungen entgegengewirkt werden. Schließlich zieht der Kirmesbereich mit seinen wechselnden Attraktionen die Aufmerksamkeit der Besucher auf sich und lenkt sie in der Regel vom Bodenbereich ab. Das gilt auch für Leitungen außerhalb des eigentlichen Kirmesplatzes, mit denen z.B. Wohnwagen der Schausteller versorgt werden. Ohne erkennbare Streckenführung, lose und ohne Abdeckung verlegte Leitungen erhöhen demgegenüber das Stolper- und Sturzrisiko und begründen somit eine abhilfebedürftige Gefahrenquelle.
Die Klägerin war nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme über lose verlegte und unzureichend gesicherte Versorgungsleitungen gestürzt. Dabei wurde zu ihren Gunsten vermutet, dass die unzureichend gesicherte Gefahrenquelle ihren Sturz verursacht hatte. Ob hingegen in dem Gefahrenbereich ausschließlich Versorgungsleitungen des beklagten Betriebes oder auch anderer Schaustellerbetriebe verlegt worden waren und über welches Kabel die Klägerin genau gestürzt war, bedurfte keiner Aufklärung. Denn auch der beklagte Betrieb war für die unzureichende Sicherung der Kabel verantwortlich und hatte nicht nachgewiesen, dass die Klägerin über das Kabel eines anderen Betriebes zu Fall gekommen war. Infolgedessen wurde zugunsten der Klägerin vermutet, dass die Verkehrssicherungspflichtverletzung des Beklagten den Schaden mitverursacht hatte.
Die Klägerin musste sich allerdings ein mit 50% zu bemessendes Mitverschulden entgegenhalten lassen. Schließlich hatten die Kabel bereits seit einigen Tagen vor ihrem Grundstück gelegen, weshalb der Klägerin der unzureichende Verlegungszustand bekannt gewesen war.
Quelle: OLG Hamm PM v. 26.5.2015